Ein gutes Dutzend Pädagogen aus der Leipziger Fördeschule Schloss Schönefeld besucht im Mai 2018 schon zum dritten Mal ihre Kollegen in Polen. Die besondere Partnerschaft der Schulen funktioniert seit 2014 und gegenseitige Studienbesuche finden mit der Krakauer 11. Förderschule und in Breslau mit der Janusz-Korczak-Schule statt.

 


Die städtische Schule in Breslau besteht aus drei verschiedenen Abteilungen: Grundschule, Gymnasium und Berufs- bzw. Berufsvorbereitungsschule. Alle drei Abteilungen sind für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 24 Jahren mit geistiger (z.B. mit frühkindlichem Hirnschaden, Trisomie 21, Verhaltensauffälligkeiten, Erziehungsproblemen) und teilweise zusätzlich mit körperlichen Beeinträchtigungen (Schwerhörigkeit, Sehschwächen, Mehrfachbeeinträchtigungen) konzipiert. Seit diesem Schuljahr funktioniert in dem Schulgebäude ein integrativer Kindergarten, der sehr eng mit der Schule verbunden ist. Insgesamt ca. 70 Lehrer und Pädagogen unterrichten hier knapp 150 Schüler. Die Schule ist somit fast zweimal größer als das Leipziger Schloss Schönefeld. Die Breslauer Schule funktioniert seit 50 Jahren – das ist auch zweimal länger als die in Leipzig. Den Schülern stehen, ähnlich wie den in Leipzig, verschiedene therapeutische Angebote und Leistungen zur Verfügung (z.B. Logopädie, Korrekturgymnastik, Informatik, Bibliothek, kleine Turnhalle, Hort, Internat). In der Schule in Krakau, der Partnerstadt Leipzigs, gibt es ebenfalls wie in Breslau, drei Schulstufen: Grundschule, Gymnasium und Berufsschule. Die Schule wird von Schülern im Alter zwischen 6 und 20 Jahren und mit einem hohen Schweregrad der Behinderung (frühkindlicher Hirnschaden, Trisomie 21, Schwerhörigkeit, Sehschwächen und Mehrfachbeeinträchtigungen) besucht.

 

Die Schule bietet Bewegungspädagogik nach Veronica Sherborne, Sensormotorik, Musiktherapie oder Sportprojekte (auch international) an sowie verschiedene Therapien, Projekte und Freizeitangebote. Die Krakauer Schule ist eine der führenden Schulen Polens, die durch das Fachlehrerteam das Konzept der Unterstützenden Kommunikation (UK) auf eine komplexe Art und Weise realisiert.

 

Mit diesem Konzept werden den Schülern, die Schwierigkeiten haben, über Sprache zu kommunizieren, alternative Mittel und Formen zur Verfügung gestellt. UK ergänzt oder ersetzt den verbalen Kontakt durch andere Kommunikationsstrategien wie Gestik oder Körperhaltung, Kommunikationsmappen, Piktogramme und Symbole oder moderne elektronische Kommunikationshilfen Taster, Maus, Mausersatzgeräte. Zu sehr fortgeschrittener Technik gehören besondere Sprachcomputer (Talker) und Sprachausgabegeräte mit Fingerführung bzw. Augensteuerung. Durch diese Erfahrungen können die Schüler und andere Kommunikationspartner (Lehrer, Mitschüler, Eltern etc.) lernen, dass Kommunikation einen fundamentalen und positiven Lebensaspekt hat. Die Pädagogen aus Leipzig und aus den beiden Schulen in Polen engagieren sich insbesondere für Menschen mit einem hohen Schweregrad der Behinderung. Bei den Besuchen haben sie eine einzigartige Möglichkeit sich über ihre Arbeitsformen und Praxis mit Schülern mit vergleichbaren Behinderungen auszutauschen. Sehr interessante Erkenntnisse und praktische Impulse liefern einige der polnischen Lösungen im Zusammenhang mit der Berufsorientierung und Vorbereitung der Schüler für die Zukunft nach der Schule. Die Motivierung und Aktivierung der Schüler mit Behinderungen gemäß dem jeweiligen Lebensentwicklungsstand bringt sehr gute Erfolge bei den nicht immer kompatiblen Arbeitsumständen des Nachbarlandes.

 

Ein interessanter Aspekt sind pädagogische Projekte, welche in die Schulentwicklung integriert sind und Eltern mit der Schule und miteinander engagieren. Die Aktion „Väter den Kindern“ oder aktive Elternabende haben eine große Wirkung und könnten, ähnlich umgesetzt, auch für die Leipziger Schule ein hohes Potenzial darstellen. Die Besuche in Polen verlaufen sehr aktiv für die deutschen und polnischen Teilnehmer. In Breslau nahmen wir an einem Zirkusworkshop mit Schülern teil, in Krakau, in Stadtteil Łagiewniki hatten wir ein Treffen mit Pfadfindern. Für ein besonderes Treffen mit Spiel und Spaß hat uns eine örtliche Wölflingsgruppe (kleine Pfadfinder) aus Krakau eingeladen. Damit konnten wir ein bisschen die Pfadfinderschaft als sinnvolle Erziehungsbewegung erleben.

 

Durch unsere Hospitationen, Präsentationen, Gespräche und Begegnungen mit Pädagogen und Schülern aus der 11. Förderschule in Krakau und der Janusz-Korczak Schule in Breslau haben wir viele kreative und engagierte Lehrer getroffen und neue Fachkontakte geknüpft. Bei dem Besuch lernten wir ein Stück der Kultur und Tradition dieser schönen Handelstädte kennen: in Krakau den berühmten Markt mit Gewandhaus und Marienkirche oder den Jüdischen Stadtteil Kazimierz. Wir waren auch in Wieliczka (Groß Salze) - eines der ältesten und bekanntesten Salzbergwerke der Welt. Seit 1978 gehört es zum UNESCO- Weltkulturerbe. In Breslau sind wir natürlich den Breslauer Zwergen begegnet, sie haben uns am Breslauer Dom, auf der Sandinsel und (in und an) der Breslauer Universität begleitet …

 

In Breslau

 


Besonders interessant und beeindruckend war für uns die Pädagogik und Philosophie von Janusz Korczak – des polnisch-jüdischen Vater der Kinderrechte, über den Herr Dr. Habil. Wiktor Żłobicki vom Institut für Pädagogik der Breslauer Universität einen Vortag für uns hielt.

 

Janusz Korczak. Eine Skulptur in Yad Vashem in Jerusalem, die Janusz Korczak zusammen mit den Kindern
darstellt (Foto: http://www.dw.com)

 

Janusz Korczak


Janusz Korczak war ein polnisch-jüdischer Pädagoge, Arzt und Schriftsteller, der 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau geboren wurde. Er nimmt eine Vorreiterrolle in der Kinderrechtsdiskussion ein. 1912 übernahm er die Leitung eines nach seinen Plänen konzipierten jüdischen Kinderheims in Hauptstadt Polens. Das Heim wurde nach einer individuellen und innovativen Pädagogik Korczaks geführt: Respekt für Kinder und ihre Menschenwürde, Unterstützung des Selbstbewusstseins und der Freiheit. Er war ein großer Verbreiter des demokratischen Zusammenlebens von Kindern. Im Heim funktionierten ein Kinderparlament, ein Kameradschaftsgericht und ein Gesetzbuch (auch für die Erwachsenen). Noch bevor die bekannte internationale Genfer Erklärung 1924, welche die erste öffentliche Deklaration über die Rechte der Kinder war, appellierte der “Alte Doktor” in seinen Schriften, Kinder als vollwertige Menschen zu achten. Anfang August 1942 ging Korczak mit etwa 200 Kindern aus dem von ihm geleiteten Warschauer Waisenhaus in das Vernichtungslager Treblinka in den sicheren Tod. Als Pädagoge, der sich im Umgang mit Kindern den Prinzipien der Selbstbestimmung und Achtung verpflichtet sah, prägte Korczak Generationen von Eltern und Pädagogen, Lehrerinnen und Lehrern weltweit.

Korczaks bekanntester Kinderroman trägt den Titel "König Macius der Erste" - ein Bildungsroman, der sich gegen die Bevormundung von Kindern richtet. Gerade die pädagogischen Schriften Korczaks scheinen auch heute noch sehr aktuell zu sein. Korczaks Grundsatz, dass Kinder schon eigenständige Persönlichkeiten sind und eine eigene Würde haben, spielt eine zentrale Rolle in der pädagogischen Ausbildung. Viele Schulen, Kinderheime, Straßen und Plätze in ganz Polen, aber auch in Deutschland tragen den Namen des Arztes und Pädagogen, der schrieb: "Wenn ein Kind lacht, lacht die ganze Welt".

 

Dr. Habil. Wiktor Żłobicki von Institut für Pädagogik der Breslauer Universität während seines
Vortrags über die Pädagogik von Janusz Korczak


2018 in Krakau und Breslau


Wir freuen uns auf das gemeinsame Treffen in Breslau und Krakau im Mai 2018. Unsere Gruppe - 14 Personen: Klassenlehrer, Fachlehrer, Schulassistenten, eine Sozialpädagogin und eine Physiotherapeutin der FS Schloss Schönefeld wird vom 9. bis 12. Mai 2018 auf Einladung der Schulleitungen die beiden polnischen Schulen besuchen. Auf dem Programm stehen Hospitationen, Arbeitsgespräche und Treffen mit polnischen Lehrern. Wir sind sicher, dass der Austausch der Erfahrungen viele neue Impulse, Ideen und Motivation für unsere Schulen bringen wird. Dieses Jahr werden wir die Vorbereitungen für ein theatralisches Projekt der Schule in Krakau beobachten und uns musiktherapeutische Angebote der Schule in Breslau ansehen. Der Schwerpunkt unseres Besuchs im Jahr 2018 wird also auf dem Thema Kunst für Schüler mit Behinderungen liegen. Sicherlich wird uns auch die neue Bildungsreform für Sonderschulen, die 2017 in Kraft im Polen getreten ist, vorgestellt werden. Und natürlich werden wir wieder ein Stück Krakauer und Breslauer Kultur kennenlernen, wie das das Viertel der Vier Tempel im Zentrum Breslaus oder das Königsschloss Wawel in Krakau.

 

Schule ZSS 11 in Krakau

 

Text: Rafal Ryszka / Fotos: Rafal Ryszka, Michaela Zeller
FS Schloss Schönefeld